Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage

Projektbericht: „Rassismusforschung“

Im Rahmen einer fünftägigen Projektwoche an der KGS Norderney im Schuljahr 2018/19 setzten sich 13 Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 8-10 kritisch mit verschiedenen Rassismen auseinander. „In Zeiten rechter Mobilisierung auf der Welt aber auch in Deutschland ist ein solches Projekt besonders relevant, um jungen Menschen Orientierungshilfen an die Hand zu geben, um Stellung gegen Rassismus und Diskriminierung und für Toleranz und Offenheit beziehen zu können.“, fasst Studienrat Jens Harms die Zielsetzung des Projektes zusammen.

Was ist Rassismus?

Da sich viele Fragen zum Thema der Begrifflichkeit an sich und den Ursachen widmeten, erfolgte zu Beginn des Projekts eine gemeinsame Entwicklung einer Definition von Rassismus als soziale Konstruktion. Der Rassist wählt dabei ein körperliches oder kulturelles Merkmal aus, z.B. die Hautfarbe, die Religion oder die Herkunft, welches er mit Bedeutungen auflädt und an das er weitere Eigenschaften anhängt. Während der Rassist die Eigenschaften im positiven und die benachteiligte Gruppe im negativen Sinne erfüllen würde, konstruiert der Rassist daraus eine soziale Hierarchie aus vermeintlich höherwertigen und minderwertigen Menschen. So rechtfertigt der Rassist seinen exklusiven Zugang zu politischer Teilhabe, Ämtern, Berufen oder Besitz, während der die als minderwertig angesehene Gruppe von diesen ausschließt.

Auf diese Weise erkannten die Schülerinnen und Schüler, dass es ,den‘ Rassismus eigentlich gar nicht gibt, sondern lediglich viele verschiedene Rassismen. Rassismen folgen zwar alle einer ähnlichen Logik und Systematik, jedoch sind sie seit Jahrhunderten in ihren Ausprägungen sehr unterschiedlich. Sie alle entbehren jeder behaupteten biologischen Grundlage, denn tatsächlich sind alle Menschen genetisch gleich. Vielmehr handelt es sich um ein von Rassisten erfundenes Phänomen, um seine politisch-gesellschaftliche Vormachtstellung zu verteidigen.

Von Antisemitismus bis Donald Trump

Im Anschluss an die gemeinsame Arbeit untersuchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbstständig eigene Fragestellungen. Während sich der Achtklässler Thees Brandt mit den Motiven der Täter des Holocausts und der Vernichtung von über sechs Millionen europäischer Juden im Dritten Reich beschäftigte, untersuchten Freya Wirdemann und Emma Tori Teriete (beide Klasse 10) die vermeintliche Überlegenheit weißer Rassisten gegenüber Schwarzen in den USA. Dabei legten sie einen Schwerpunkt auf rechte Gruppierungen wie den Ku-Klux-Klan und die Alt-Right-Bewegung, Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern sowie der Einstellung Donald Trumps gegenüber Migranten.

Eine dritte Projektgruppe aus den Klassen 8 und 10 führte ein Interview mit den Gastronomen Maja und Milan Micevic aus dem Café Friedrich hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit Rassismus. Milan Micevic floh während des Bosnienkriegs nach Serbien und kam um die 2000er-Wende mit seiner Frau nach Deutschland. Beide gewährten interessante Einblicke in ihre eigene erfolgreiche Integration in Deutschland. Direkten Kontakt mit Rassismus hätten sie selbst nie gehabt, dennoch lieferte ihre Perspektive auf den Umgang mit Rassismus in Deutschland und auf der Welt damals und heute der Projektgruppe wertvolle Anhaltspunkte für ihre weitere Arbeit.

Die KGS Norderney – eine „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

Die vierte Gruppe bestehend aus Acht- und Neuntklässlern führte einen „Demokratie-Dschungel“ für die gesamte Schülerschaft der KGS durch, um festzustellen, inwiefern rassistische Einstellungen an ihrer Schule ein alltägliches Problem sein könnten und ob klare Abwehrhaltungen gegen Diskriminierungen bestehen. So zählte die Gruppe zustimmende Stimmabgaben zu provozierenden Aussagen wie „Homosexualität ist abstoßend“, „Schwarze sind keine Menschen“ oder „Rassismus, Ausgrenzung, Mobbing, Gewalt oder Fremdenhass: Ich bin dagegen“ aus. Das teils überraschende Ergebnis: Während Diskriminierung ablehnende Aussagen bis zu 80 % der Stimmen erhielten, teilen auch bis zu 8 % der 230 befragten Schülerinnen und Schüler rassistische Ansichten und Einstellungen. „Auf Norderney gibt es glücklicherweise keine rassistisch motivierten Übergriffe, sodass das Thema hier nicht sehr präsent ist. Latent rassistische Einstellungen findet man auf der Insel leider trotzdem.“, so Projektleiter Jens Harms.

Gleichzeitig sammelte die Gruppe Unterschriften von knapp 77,4 % der Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, pädagogischen und technischen Mitarbeiter für die Selbstverpflichtung, aktiv gegen Rassismus in der Schulgemeinschaft vorzugehen. Mit den Ergebnissen des Projekts, die in der Eingangshalle der Schule in Form von Plakaten präsentiert und ausgestellt werden, sowie den Selbstverpflichtungserklärungen der Schulgemeinschaft bewarb die Projektgruppe die KGS Norderney bei der Bundeskoordination um eine Zertifizierung als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Um dem Netzwerk der besonders auf dem Festland bekannten Courage-Schulen beizutreten, sind die Unterschriften 70 % aller an der Schule beteiligten Personen sowie jährliche Aktivitäten zur Auseinandersetzung mit Rassismus notwendig. Dieses Siegel tragen deutschlandweit knapp 3000 Schulen sowie über 300 außerschulische Kooperationspartner.

Bürgermeister Frank Ulrichs übernimmt Patenschaft

Am 28. Juni 2019 war es dann soweit: Silvia Pünt-Kohoff, Dezernatsleiterin im Regionalen Landesamt für Schule und Bildung Osnabrück, überreichte die Zertifizierungsurkunde. Die Schirmherrschaft für die Zertifizierung der KGS übernahm Bürgermeister Frank Ulrichs, der den Festakt der Verleihung des Titels „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ begleitet hat. „Ich freue mich, als Bürgermeister die Patenschaft für dieses wichtige Projekt übernehmen zu dürfen und begleite und unterstütze die Schülerinnen und Schüler unserer KGS gerne auf ihrem Weg zur Courage-Schule – eine Schule ohne Rassismus. Die schulische Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist angesichts der zunehmenden rassistisch und rechtsextremistisch motivierten Tendenzen in unserer Gesellschaft eine bedeutende aber auch dringliche Aufgabe. Je mehr Schulen sich dieser Initiative anschließen und durch Aktionen und Aufklärung inhaltlich mit Leben füllen, umso fester und beständiger wird die Basis für ein gleichberechtigtes und friedvolles Zusammenleben in Deutschland und in der Welt.“, lobt Ulrichs die Kampagne der jungen Norderneyer, die seiner Meinung nach Anerkennung und Beachtung verdient.

Seit 2019 finden jährlich Aktionen mit Courage und gegen Rassismus an der KGS Norderney statt, z.B. Theaterstücke zur Demokratieerziehung, Spendensammlungen für ukrainische Kriegsflüchtlinge und Präventionsworkshops gegen Cybermobbing usw.

Jens Harms